Wenn das Pferd zum Schlüssel wird – warum Reittherapie keine „Luxusleistung“ ist

Als der kleine Jonas zum ersten Mal auf dem Rücken eines Pferdes sitzt, geschieht etwas Magisches. Der Junge, der sich in Gruppen kaum zurechtfindet, impulsiv und oft überfordert ist, begann zu atmen.

Tief.

Ruhig.

Er spürt den Rhythmus des Tieres – von Unruhe keine Spur mehr zu sehen.

Jonas ist kein Einzelfall. Viele Kinder mit seelischen Beeinträchtigungen profitieren von der sogenannten heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd – im Alltag bekannt als Reittherapie.

Und doch lehnen Jugendämter Anträge auf Kostenübernahme immer wieder mit dem Hinweis ab, es handele sich nicht um eine „Aufgabe der Jugendhilfe“, sondern um medizinische Leistungen, für die die Krankenkasse zuständig sei.

Ein hartnäckiger Irrtum – wie ein Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts (Az. 3 LB 7/18) zeigt. Und ein wichtiges Signal für alle Eltern, die für ihre Kinder um eine angemessene Hilfe kämpfen.


Reittherapie als Eingliederungshilfe – rechtlich möglich und notwendig

§ 35a SGB VIII regelt die Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung. Ein Anspruch besteht, wenn:

  • die seelische Gesundheit länger als sechs Monate vom altersgemäßen Zustand abweicht und
  • daraus eine Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft folgt.

Genau das ist bei Jonas der Fall. Und obwohl das Jugendamt die Kostenübernahme ablehnte – mit dem Argument, es handele sich um eine medizinische Maßnahme – bekam Jonas am Ende Recht: Das OVG Schleswig verurteilte das Jugendamt zur Kostenübernahme. Die Richter stellten klar: Entscheidend ist nicht die Etikettierung der Maßnahme, sondern ihr Zweck.

Und der lag bei Jonas eindeutig in der sozialen Integration – nicht in der medizinischen Behandlung.


Teilhabe statt Therapie auf Rezept

Die Reittherapie zielt bei Jonas auf Impulskontrolle, Beziehungsfähigkeit, Selbstwahrnehmung – alles klassische Ziele der sozialen Rehabilitation. Der Therapieerfolg besteht nicht in Blutwerten oder Diagnosekürzeln, sondern in Jonas’ Fähigkeit, am Schulalltag teilzunehmen, Konflikte auszuhalten, Freundschaften aufzubauen.

Genau darum geht es bei Eingliederungshilfe: Die Unterstützung soll dem Kind helfen, wieder Teil der Gemeinschaft zu werden.

Das Pferd ist dabei kein Ersatz für Psychotherapie – aber oft ein Katalysator: Es reagiert ehrlich, sensibel, klar. Und gerade Kinder mit emotionaler Instabilität, ADHS oder traumatischen Erfahrungen erleben hier zum ersten Mal eine Beziehung, die sie weder überfordert noch ausgrenzt.


Was sagt die Wissenschaft?

Dass Reittherapie wirkt, ist nicht nur eine Erfahrung aus der Praxis, sondern auch wissenschaftlich belegt.

Zahlreiche Studien bestätigen positive Effekte:

  • Soziale Interaktion und Empathie verbessern sich nachweislich bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen.
  • Selbstwert und Selbstwirksamkeit steigen – insbesondere bei Kindern mit Depressionen oder Ängsten.
  • Impulskontrolle und Frustrationstoleranz entwickeln sich durch den körpernahen, aber stillen Dialog mit dem Pferd.

Reittherapie abgelehnt – was jetzt?

Viele Eltern stehen nach einer Ablehnung ratlos da. Die Argumentation der Jugendämter ist oft formelhaft und nicht individuell geprüft.

Daher:

Reittherapie rechtzeitig beantragen

Am besten bevor die Maßnahme beginnt. Wird Reittherapie vorab in Anspruch genommen, ist unter bestimmten Voraussetzungen ein Kostenersatz möglich (§ 36a Abs. 3 SGB VIII). Das gilt etwa dann, wenn Eilbedürftigkeit bestand oder die Behörde untätig blieb.

 

Widerspruch einlegen

Gut begründet und am besten mit fachlicher Unterstützung. Es reicht nicht, einfach zu sagen: „Reittherapie hilft.“ Entscheidend ist, konkret darzustellen, wie genau sie die Teilhabe Ihres Kindes verbessert.

Fachliche Stellungnahmen einholen

Von Kinderpsychiater:innen, Reittherapeut:innen oder Pädagog:innen. Wichtig ist: Der Teilhabebezug muss klar benannt sein. Zielorientierte Formulierungen helfen dabei deutlich mehr als allgemeine Lobeshymnen.


Warum sich der Weg lohnt

Für viele Kinder ist Reittherapie nicht eine schöne Zusatzleistung, sondern die entscheidende Hilfe. Sie wirkt auf einer Ebene, die in anderen Settings oft nicht erreichbar ist – gerade bei Kindern, die verbal kaum ansprechbar sind oder in herkömmlichen Therapien nicht „mitmachen“.

Doch diese Hilfe ist nicht immer bequem zu bekommen. Manchmal braucht es einen langen Atem, gute Argumente – und jemanden, der sich auskennt.


Meine Unterstützung für Sie

Als Fachanwältin für Sozialrecht mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendhilfe vertrete ich Eltern, die sich für ihre Kinder einsetzen. Ich unterstütze Sie:

  • bei der Antragstellung,
  • bei einem ablehnenden Bescheid,
  • und – wenn nötig – im Widerspruchs- oder Klageverfahren.

Ich kenne die juristischen Kniffe. Aber ich kenne auch die Sorgen von Eltern. Und manchmal beginnt der Weg zur Teilhabe dort, wo ein Kind auf einem Pferd zum ersten Mal spürt: Ich kann etwas. Ich werde gesehen. Ich darf so sein, wie ich bin.

Wenn Sie Fragen haben – schreiben Sie mir.


Ihr Kind hat Rechte. Und ich helfe Ihnen, sie durchzusetzen.

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